4.4     LANDSCHAFTSGESCHICHTE

Landschaften unterliegen einem ständigen Veränderungsprozeß. Fortwährend gestalten die Menschen die Umwelt nach ihren Bedürfnissen um, fügen Neues dem Alten zu. Was sich bewährt, bleibt lange erhalten, Fehlentwicklungen sucht man schnell zu beseitigen. Eine Landschaft wird damit zum Spiegel der Jahrhunderte, zu einem riesigen Geschichtsbuch, in dem sich zahlreiche Hinweise auf die Vergangenheit finden lassen.
Diese „Lesbarkeit“ von lokaler Geschichte gewinnt heute in Zeiten einer globalen Anpassung von Märkten und Landschaften verstärkt Bedeutung, die Gesellschaft entwickelt eine neue Sensibilität gegenüber solchen lokalen Zeichen in der Landschaft.

Für Westerhof sollen einige Aspekte dieser Thematik herausgegriffen werden. Dies geschieht ohne den Anspruch von Vollständigkeit, die Beispiele sollen lediglich zu einem besseren Verständnis der Landschaft beitragen.
 

   
Eine Kalksteinmauer in Westerhof - sie deutet auf lokale Kalksteinvorkommen hin
 

Geologie

Die wichtigste Prägung erhält eine Landschaft durch ihre geologische Struktur, da von dieser das Relief, das Gewässernetz, die Böden und damit die Bewirtschaftungsmöglichkeiten abhängen.

Für Westerhof sind zunächst zwei Formationen wichtig: Kalkstein des oberen Muschelkalks am Ziegenberg und in der Luhne, Buntsandstein am Koppenberg. Auch wenn diese Gesteine im Untergrund liegen, so sind sie doch entscheidend für das Bild der Landschaft. Am Ziegenberg finden sich so vornehmlich Kalksteinbrüche, die Sandsteinbrüche liegen am Koppenberg. Kleine Einsprengsel andersartiger Gesteine wurden früh genutzt: Sandstein am ‘Boll’, Kalkstein am ‘Tannenkopf’ oder auch Gipsgestein am bezeichnenden ‘Gipswinkel’. Der Gips wird unterirdisch von Regenwasser gelöst. Rutschen obere Gesteinsschichten nach, bilden sich Erdfälle und Trichter an der Oberfläche: so erklärt sich das merkwürdig geschwungene Relief der Wiesen am ‘Gipswinkel’.

Ähnliche Auslaugungen finden auch im ‘Großen Trockenen Teiche’ statt, wo wasserlöslicher Zechstein im Untergrund lagert. Dieser wird ausgewaschen, der Boden sackt ab und vernäßt. Durch die Nässe zersetzen sich absterbende Pflanzen nicht vollständig, es bildet sich Torf, ein Niedermoor entsteht. Solche Standorte eignen sich kaum für die Landwirtschaft und wurden daher erst relativ spät in Kultur genommen, wie die Flurnamen ‘Faule Wiese’ und ‘Neue Wiese’ zeigen. Nur durch aufwendige Drainagen können die Böden als Acker genutzt werden. Dies ist ein ständiger Wettlauf mit der Zeit, da das Gelände auch weiterhin absackt.
 

   
Impressionen aus dem "Großen Trockenen Teiche"

Verkehrswege

In der Westerhöfer Flur können zahlreiche alte Wegespuren ausgemacht werden. Am auffälligsten sind alte Hohlwege. Wie der Name andeutet, haben sich diese Wege im Laufe der Zeit durch Erosion ihrer Sohle immer tiefer in den Untergrund eingeschnitten. Es entsteht ein V-förmiges Profil. Ein schönes Beispiele dafür findet sich in der ‘Bucht’, durch die ein alter Weg nach Förste verlief. Weitere Hohlwege finden sich in der ‘Klappe’ und oberhalb der ‘Specke’ am Koppenberg. Charakteristisch ist die steil aufwärts führende Richtung der Wege. Die Hohlwege sind heute oftmals aufgegeben und mit Gehölzen bewachsen.

Ebenfalls im Zusammenhang mit dem Verkehr ist die ‘Landwehr’ zwischen Westerhof und Willershausen entstanden. Sie diente weniger militärischen Zwecken, mit ihrer Anlage versuchte man wahrscheinlich, Fuhrwerke davon abzuhalten, die Straßen im Tal zu verlassen. Die Landwehr versperrte durch eine dichte Dornenhecke den Weg durch die empfindlichen Ackerflächen und das „Vorbeimogeln“  an Zoll- und anderen Kontrollstationen.

Und noch ein altes Verkehrsbauwerk zeugt von einer alten Nutzung: der Bahndamm der Kleinbahn, der am östlichen Talrand der Aueniederung verläuft. Von Willershausen bis Westerhof wird die alte Strecke heute als Radweg genutzt. Von Westerhof Richtung Marke ist die ehemalige Trassenführung im Gelände noch gut erkennbar. Eine Terrasse zieht sich am Hang entlang durch die Wiesen. Im Zusammenhang mit der Bahn ist auch die ‘Rampe’ zu nennen, eine lange natursteingefaßte Verladerampe an der ehemaligen Strecke.

Wassertechnik als Kulturleistung

Die Aue wurde bis ca. 1850 zu einem ‘Großen Teich’ aufgestaut, um mit ihrer Wasserkraft eine Mühle am Ortsrand zu betreiben. Der Flurname ‘Im Großen Trockenen Teiche’ deutet darauf hin, umgangssprachlich wird die Fläche als ‘Im Teiche’ bezeichnet. Nach Aufgabe des Stauteiches wurde die Aue als eine Art Mühlgraben am nordwestlichen Talrand geführt (siehe Karte ). Noch heute zeigen Reste von Stauwehren und Brücken in der Aschau den Abzweig an. Ihr Pendant fand die Aue auf der anderen Talseite mit dem ‘Eichstranggraben’, der das Wasser aus den Tälern der Specke aufnahm und am Rande der Talsenke zum Dorf hin führte. Durch die spätere Anlage des Bahndammes finden sich kaum noch Hinweise auf dieses Gewässer.
Mit diesen beiden Gewässern konnte der Mühlbetrieb weiterhin gewährleistet werden. Dazu wurde eigens eine Holzbrücke gebaut, mit der das Wasser des Eichstranggrabens über den ‘Mittelgraben’ zur Aue auf die andere Talseite geleitet werden konnte.
 

  
Der "Große Westerhöfer Teich" und seine Nebengewässer
in einer historischen Karte

Wir finden dieses Prinzip auch im nächsten Abschnitt des Auetals zwischen Westerhof und Willershausen. Linksseitig am Talrand wurde die Aue geführt - von diesem Verlauf zeugt heute noch eine kleinere Überfahrt aus Natursteinen im Kurvenbereich der L 525 - rechtsseitig wurde das Wasser des Bühgrabens gesammelt und wiederum über eine Holzbrücke auf die andere Talseite geleitet. Das Wasser wurde genutzt, um die ‘Teichmühle’ zu betreiben. Das Gehöft liegt am Ortsrand Willershausens, gehört aber zu Westerhof. Der Name der Mühle rührt von einem Mühlteich her, der vor der Mühle lag und dessen Umrisse trotz Aufschüttungen heute noch im Gelände erkennbar sind.

Neben dem Mühlteich und dem ‘Großen Trockenen Teich’ gab es noch weitere Teichanlagen im Tal des Rahlkebaches. Von diesen ist nur noch der heutige ‘Luhneteich’ übrig geblieben, der geschickt in das Zentrum der Luhnesiedlung integriert wurde. Diese Teiche dienten wohl der Aufzucht von Jungfischen für den ‘Großen Teich’ und verloren mit dessen Ablassen ihre ursprüngliche Funktion.

An weiteren wasserbaulichen Elementen sind noch zwei Flachsrösten zu nennen, die am ‘Eichstrang’ lagen und durch das Wasser der Speckentäler gespeist wurden. Hier wurde vermutlich Lein für 1-2 Wochen eingelagert (Kaltwasserrotte), um ihn später zu Flachs verarbeiten zu können.

Die Westerhöfer Wassertechnik des 18. Jahrhunderts zeugt von einer erstaunlichen Findigkeit im Umgang mit dem Wasser und kann aus heutiger Sicht durchaus als eine außerordentliche Kulturleistung bezeichnet werden. Die historische Wassertechnik zeigt auch, wie vielfältig eine Kulturlandschaft werden kann, wenn sie ohne hohen Maschinen- und Energieeinsatz bewirtschaftet werden muß und nur durch differenzierte, dem jeweiligen Flurbereich angepaßte Techniken ausreichend Erträge liefert.

Dieser Zusammenhang zwischen Landschaft und Landnutzung führt auch dazu, daß man sich heute diesen Kulturlandschaften wieder mit verstärktem Interesse zuwendet. Darüber hinaus weisen solche Landschaften durch ihre Vielfalt und Kleinteiligkeit eine hohe Bedeutung für die Erholung auf.

Ortsheimatpfleger Wilhelm Schütte hat in einer unveröffentlichten Aufzeichnung das Wassersystem in einer Karte festgehalten. Ihm ist es zu danken, daß die Information aufbereitet wurden und so in diesen Dorferneuerungsplan einfließen können.


 version 10.11.98. webdesign: Frank Lohrberg. Landschaftsarchitekt.  Rosenbergstr. 69 A.  70176 Stuttgart
aufbereitet am 02.01.01 von herbertb

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